Überalterung im Landkreis Starnberg: Vorsorge ist das Gebot der Stunde – die Lage ist ernst!
Wie steht es um die Pflege in Herrsching? Diese Frage bewegt zahlreiche BesucherInnen, die der Einladung der Bürgergemeinschaft Herrsching (BGH) zur Film- und Informationsveranstaltung am 16. März 2025 folgten. Angesichts wachsender Herausforderungen, insbesondere in der Kurzzeitpflege, wurden dringende Handlungsbedarfe und mögliche Lösungsansätze diskutiert.
Zum Auftakt zeigte das Breitwand-Kino Seefeld den preisgekrönten Film „The Father” mit Anthony Hopkins. Die bewegende Darstellung eines an Demenz erkrankten Mannes und die Herausforderungen für seine pflegenden Angehörigen stimmten das Publikum auf das Thema Pflege ein.
Im Anschluss gaben Bettina Hartwanger von der Fachstelle Senioren und Bettina Richter, integrierte Sozialplanerin des Landratsamts Starnberg, wertvolle Einblicke in die aktuelle Pflegesituation im Landkreis. Sie erläuterten Prognosen zur Entwicklung des Pflegebedarfs und beleuchteten die Handlungsspielräume der Kommunen.
Fest steht: Die Lage ist ernst! “Wir müssen uns darauf einstellen, dass in absehbarer Zeit nicht mehr für jeden hilfsbedürftigen alten Menschen ein Platz in einer Pflegeeinrichtung zur Verfügung stehen wird” so Richter. Die Zeiten, in denen man wie selbstverständlich davon ausgehen konnte, im Alter in einem Alten- bzw. Pflegeheim versorgt zu werden, sind gezählt. Zudem wird stationäre Pflege immer teurer. Der Eigenanteil in Bayern für eine Pflegeeinrichtung beläuft sich aktuell auf monatlich 2995,-€ im ersten Jahr. Nur ab Pflegestufe 2 bekommt man überhaupt einen Platz. Gleichzeitig wird sich die Lage im Bereich der zur Verfügung stehenden Pflegekräfte – auch im ambulanten Bereich – dramatisch verschärfen. Auch hier spielt der demographische Wandel eine Rolle – die Jungen werden immer weniger. Heißt: Selbst wer Geld und Platz hat für eine 24-Stunden-Pflege zu Hause, wird immer größere Probleme haben, jemanden zu finden. Und: das Problem besteht europaweit! Wegschauen und Leben nach dem Motto: kommt Zeit, kommt Rat? “Keine gute Idee”,so Bettina Richter als Sozialplanerin. Sie empfiehlt: rechtzeitig Vorsorge treffen! Versorgung und Pflege im Alter müsse neu gedacht werden. Kann ich mit Freunden, Bekannten oder Geschwistern eine Senioren –WG gründen, in der man sich im Alter gegenseitig unterstützt und ergänzt? Vermiete ich ein Zimmer in meiner Wohnung, in meinem Haus an jüngere Menschen zB im Studium oder Ausbildung gegen Hilfe und Unterstützung im Alltag?Das kostenlose Angebot einer Wohnraumberatung kann helfen, rechtzeitig Maßnahmen in den eigenen vier Wänden zu treffen, um zB für Barrierefreiheit zu sorgen, und damit einen längeren Verbleib in den eigenen vier Wänden zu gewährleisten. Darüber sollte man sich nicht erst Gedanken machen, wenn der Rollator bereits bestellt ist.
Und wie ist die Lage aktuell? Was laut aktuellem Seniorenpolitischen Gesamtkonzept für den Landkreis Starnberg für die Altersstruktur der Landkreisbevölkerung in 15 Jahren prognostiziert wird, ist in Herrsching schon jetzt Realität: ca. 35 % der Bürger sind älter als 60 Jahre alt – Tendenz steigend.
Fachkräftemangel im Pflegebereich führt dazu, dass in der stationären Versorgung theoretisch vorhandene Kapazitäten nicht ausgeschöpft werden können, was insbesondere in der Kurzzeitpflege zu Engpässen führt. Diese Situation wird sich dramatisch zuspitzen, da man von einem Personalmehrbedarf in der Pflege von 50 % innerhalb der nächsten 15 Jahren ausgeht.Vor diesem Hintergrund besteht dringender Handlungsbedarf. Es gilt, Pflege im Sinne einer umfassenden Altersvorsorge neu zu denken. Im Landkreis Starnberg hat sich im Juli 2024 deshalb unter Mitwirkung des Landratsamtes eine Pflegefachkonferenz gegründet mit dem Ziel, Kommunen, Sozialleistungsträger und sonstige Beteiligte aus dem Bereich der Pflege zu vernetzen, um gemeinsam Konzepte zu erarbeiten und so dem drohenden Pflegenotstand zu begegnen.Mehr als die Hälfte der Gemeinden im Landkreis beteiligen sich bereits aktiv oder als Mitglied in dieser Pflegefachkonferenz. Die Gemeinde Herrsching beteiligt sich trotz der anstehenden Herausforderungen und der vielfachen Appelle aus dem Gemeinderat und der Bürgerschaft zum Thema “Versorgungslage in der Pflege” bisher nicht an der Pflegefachkonferenz oder deren Arbeitsgruppen. “ Das ist in Anbetracht der Dringlichkeit schwer nachvollziehbar”, sagt Christiane Gruber von der Bürgergemeinschaft Herrsching.
Einen positiven Aspekt in der aktuellen Versorgungslandschaft stellt der Bereich der Tagespflege dar. Das Landratsamt weist darauf hin, dass aktuell im Landkreis ausreichend Kapazitäten zur Verfügung stehen, die aber offenbar nicht jedem bekannt sind. Dies umfasst auch einen Hol-und Bringservice, sodass auch Angebote außerhalb der eigenen Gemeinde nutzbar sind. Aufgrund der besseren Arbeitsbedingungen (zB kein Schichtdienst) schlägt hier der Fachkräftemangel noch nicht zu Buche.
Anders der Bereich der Kurzzeitpflege. Wegen fehlender Fachkräfte und erhöhtem bürokratischem Aufwand für die Einrichtungen existieren hier oft Plätze nur auf dem Papier. Es besteht kein ausreichendes Angebot zur Entlastung pflegender Angehörige, Besserung nicht in Sicht – auch wegen fehlenden bezahlbaren Wohnraums.
Gewitterwolken am Horizont auch im Bereich der ambulanten Versorgung. Noch besteht hier eine ausreichende Versorgungslandschaft, gleichwohl ist die Lage der ambulanten Hilfs- und Nachbarschaftsdienste in Herrsching alles andere als entspannt. Oft können diese nur durch ehrenamtliches Engagement und Spenden ihre Unterstützung im Gemeindegebiet aufrechterhalten. Frau Richter vom Landratsamt: Ohne verstärktes ehrenamtliches Engagement der Bürger und finanzielle Unterstützungen wird es künftig wohl nicht mehr funktionieren. Und dann?
Trotz der düsteren Prognosen zieht die BGH ein positives Fazit: Die Veranstaltung bot eine wertvolle Plattform für Fragen, Austausch und Anregungen. Eine Besucherin bedankte sich ausdrücklich für diese Initiative – so fühle sie sich nicht mehr so allein mit ihren Sorgen und Befürchtungen. „Die rege Diskussion – leider ohne Beteiligung weiterer Vertreter aus dem Gemeinderat und dem Rathaus – an unserer Film- und Informationsveranstaltung zeigt, dass das Thema Pflege uns alle betrifft und dringendes Handeln erfordert“, sagte Claudia von Hirschfeld von der BGH nach der Veranstaltung.
Die Film- und Informationsveranstaltung zum Thema Pflege war die zweite dieser Art, die die BGH in Zusammenarbeit mit dem Breitwand-Kino Seefeld durchgeführt hat. Die erste fand im Juni 2024 statt und beschäftigte sich mit der NS-Vergangenheit in Herrsching.